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Arno Geiger

Der alte König in seinem Exil

Ein berührendes Portrait

 

  • Verlag Hanser
  • 2011 / 2. Aufl.
  • 192 Seiten

 

Wenn einer nicht mehr denken kann wie früher, was ist das für ein Leben? Arno Geigers Vater hat Alzheimer. Die Krankheit löst langsam seine Erinnerung und seine Orientierung in der Gegenwart auf, lässt sein Leben abhandenkommen. Arno Geiger erzählt, wie er nochmals Freundschaft mit seinem Vater schließt und ihn viele Jahre begleitet. In nur scheinbar sinnlosen und oft so wunderbar poetischen Sätzen entdeckt er, dass es auch im Alter in der Person des Vaters noch alles gibt: Charme, Witz, Selbstbewusstsein und Würde. Arno Geigers Buch ist lebendig, oft komisch. In seiner tief berührenden Geschichte erzählt er von einem Leben, das es immer noch zutiefst wert ist, gelebt zu werden.

 

Hauptperson ist der zuletzt 83-jährige August Geiger, Vater von vier Kindern und ehemaliger Gemeindebeamter, der seit ca. 15 Jahren an Alzheimer-Demenz erkrankt ist. Autor ist dessen jüngster Sohn, der sich über Jahre intensiv an der Versorgung und Pflege seines Vaters beteiligt hat. Beschrieben wird das Zusammenleben mit dem alleinlebenden alten Herrn, das durch den zunehmenden Verlust von Gedächtnis und Fähigkeiten geprägt wird und das für alle erst erträglich wird, nachdem die Angehörigen die Erkrankung akzeptiert haben. Beschrieben wird in vielen Rückblenden die Lebensgeschichte von August Geiger und die mit der Zeit erreichte Wieder-Annäherung des Sohnes an seinen Vater. Der Sohn erlebt das Zusammenleben als bereichernd.

 

Arno Geiger hat mit seinem Buch „Der alte König in seinem Exil“ viel mehr geschrieben als das Porträt seines Vaters, eines Mannes, der seine Außergewöhnlichkeit erst spät, am Rande der Dämmerung, zu erkennen gab. Und doch ist es leichter, auf Anhieb zu sagen, was dieses Buch alles nicht ist: Es ist kein Buch über Demenz, es ist keine Familienaufstellung und erst recht, anders als die meisten anderen Sohnesbücher über Väter, ist es keine Abrechnung. Stattdessen ist „Der alte König in seinem Exil“ eine tiefgründige, charaktervolle und zeitlos gültige Auseinandersetzung mit dem, was jeden angeht: Alter und Krankheit, Heimat und Familie. Eine Reflexion über das, womit man nicht fertig wird. Und obwohl man es darf, scheut man sich fast, dieses gewaltige schmale Buch groß zu nennen, denn Arno Geigers Gestus ist ein demütiger, bescheidener, liebevoller, dankbarer. Sein Buch ist eine Übung in Askese: alles Wichtige aufrichtig sagen, ohne ein Wort zu viel zu machen. Wie Arno Geiger das gelungen ist, das macht das Glück dieser Lektüre aus.

 

Eine Geschichte vieler Siege

Geiger geht es in seinem Buch nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse, er wirbt nicht um Verständnis für sich und seine Geschwister, er klagt nicht über Betreuungskosten oder die Schwierigkeit, Betreuung zu finden. Und sofern ihm die Demenz seines Vaters und zuvor auch seines Großvaters Sorgen um sich selbst bereitet, behält er diese für sich. Er macht das Allgemeine persönlich - und zeigt mittels dieser literarischen Tugend, was die Krankheit mit denen macht, denen sie begegnet. Es ist die Geschichte vieler Siege - trotz unausweichlicher Niederlage. Denn während die Alzheimerkrankheit andernorts oft als ein immer weiter zuwuchernder Garten geschildert wird, stellt Geiger Lichtungen her.

 

Lesenswert ist "Der alte König in seinem Exil", weil man einen lebendigen Eindruck davon bekommt, wie ein an Demenz bzw. Alzheimer Erkrankter von seinen Angehörigen wahrgenommen wird.

 

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.02.2011

Arno Geiger hat kein Buch über Alzheimer geschrieben, sondern ein Buch über einen Vater. Und das ist wirklich beachtlich, werden doch alle mit der Krankheit verbundenen Schreckensvorstellungen genau beschrieben. Dass Geiger dennoch der heikle Versuch gelingt, auch den aus der Erkrankung gezogenen Gewinn einer veränderten, emotionalen Vater-Sohn-Beziehung und einer neuen Sicht auf die Welt zu schildern, liegt an der Einfühlsamkeit und der "Zartheit" mit denen der Autor sich seinem Vater und dessen Krankheit nähert. Ebenso schleichend wie die Anfänge der Krankheit gestaltet Geiger die Annäherung an den Vater: Steht zunächst dessen Vergangenheit, insbesondere seine Kriegserlebnisse im Mittelpunkt der Erzählung, rückt nach und nach das neue, ambivalente Zusammensein mit dem kranken Vater in den Vordergrund.

 


Rachel Joyce

 

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

Ein absolut unvergesslicher Roman


Gehen Sie auf eine Reise der ganz besonderen Art und Sie werden verändert zurückkehren.

 

  • Fischer-Verlag GmbH
  • 2012, 10. Auflage
  • 378 Seiten

 

Ein unvergesslicher Roman, der die ganze Welt erobert. »Ich bin auf dem Weg. Du musst nur durchhalten. Ich werde Dich retten, Du wirst schon sehen. Ich werde laufen, und Du wirst leben.« Harold Fry will nur kurz einen Brief einwerfen an seine frühere Kollegin Queenie Hennessy, die im Sterben liegt. Doch dann läuft er am Briefkasten vorbei und auch am Postamt, aus der Stadt hinaus und immer weiter, 87 Tage, 1000 Kilometer. Zu Fuß von Südengland bis an die schottische Grenze zu Queenies Hospiz. Eine Reise, die er jeden Tag neu beginnen muss. Für Queenie. Für seine Frau Maureen. Für seinen Sohn David. Für sich selbst. Und für uns alle. Ein ganz außergewöhnlicher und tief berührender Roman – über Geheimnisse, besondere Momente und zufällige Begegnungen, die uns von Grund auf verändern. Über Tapferkeit und Betrug, Liebe und Loyalität und ein ganz unscheinbares Paar Segelschuhe.

 

Kaum zu übertreffende emotionale Tiefe

 

„Beim Laufen habe ich mich an so vieles erinnert. An Dinge, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sei vergessen hatte, Manche Erinnerungen waren hart. Aber die meisten waren schön. Ich habe Angst, dass ich sie eines Tages, vielleicht bald, wieder verliere“.

 

Nicht nur körperlich, auch emotional zutiefst mitgenommen zeigt sich Harald Fry am Ende seines Fußmarsches von über 1000 Kilometern in 87 Tagen.

 

Er, der zu Beginn des Buches wirkte wie ein Teil einer typisch auseinandergelebten, englisch distanzierten, Familie. Seine Frau Maureen und er in getrennten Zimmern, nur das Nötigste wird gesagt, entfremdet auch von David, dem Sohn, der nicht mehr zu Hause anzutreffen ist. Der nach 45 Jahren als Handelsvertreter nun im nichtssagenden Ruhestand ist. Der sich vorwirft, Zeit seines Lebens da, wo es nötig gewesen wäre, aus seiner inneren, emotionalen Distanz, fast Starre nicht herausgekommen zu sein. Gerade in wichtigen Momenten mit seinem Sohn David. Oder auch, als seine Mutter ihn und die Familie einfach verließ.

 

Gedanken, die Harold zugeflogen kommen, als er sich, unvorbereitet und spontan, auf den Weg macht. Eine alte Kollegin, seit 20 Jahren nicht mehr gesehen, schreibt ihm einen Brief. Sie liegt im Sterben. Ein Mädchen an der Tankstelle, kurz vor dem letzten Briefkasten des Ortes, erzählt von der Kraft des Glaubens an Besserung.

„Man muss daran glauben, dass ein Mensch wieder gesund werden kann“.

 

So gibt Harold, ganz spontan, per Telefon dem Hospiz Bescheid, dass er sich auf den Weg macht und Queenie mit ihrem Sterben warten soll. Er käme zu Fuß.

 

Und Harold macht sich auf den Weg. In einfachen Segelschuhen, mit nur dem, was er gerade dabei hat. Trifft auf Fremde, setzt Fuß vor Fuß. Mit jedem Schritt scheint da auch etwas in ihm selber wieder zurecht gerückt zu werden. Erinnerungen kommen, schamvolle, peinvolle, schöne Erinnerungen. Erinnerungen, die er unter Schmerzen ansehen und verarbeiten muss. Und so erlebt der Leser an der Hand der Autorin einen allmählichen Gang in die Tiefe eines Menschen und seines Umfeldes und derer, denen er begegnet, der bald ahnen lässt, dass hier Geheimnisse, wichtige Dinge noch vorliegen, die erst langsam an der Oberfläche kratzen.

 

Kommt man zum Ende des Buches, schließt sich der Kreis, gelingt es Joyce, diese eigentlichen Dinge unglaublich  überraschend zu enthüllen. In einer Art und Weise, die emotional tief berührt und fast sprachlos zurücklässt. Wie es ihr überhaupt gelingt, Seite für Seite in wunderbarer und immer treffender Sprache eine emotionale Erlebnisreise auf Papier zu bannen, die sich (auch das wieder erst ganz am Ende) tatsächlich als eine echte Pilgerreise des Glaubens (ohne jede Religiosität) darstellt.

„Wenn er den Blick immer auf die Dinge gerichtet hielt, die größer aren als er selbst, dann würde er es schaffen. Ganz sicher“.

 

Mit menschlichen Erkenntnissen, einer inneren Geschichten, mit Begegnungen, die immer wieder, Seite für Seite, an die Grundfesten der Substanz der Persönlichkeiten reichen. Genau beobachtetes Leben, aus dem Joyce ebenso treffsicher die dahinter liegenden Emotionen zu beschreiben versteht, diese im wahrsten Sinne des Wortes für den Leser erlebbar macht.

 

Was das Eigentliche ist, was Harold mit Queenie verbindet, was diese für ihn getan hat, warum er sie nun unbedingt noch einmal sehen muss, was sein eigentlicher, tiefer Schmerz ist, der ihn und seine Frau so voneinander getrennt haben und wie sich er, aber auch seine Frau Maureen durch diesen Fußweg entwickeln und verändern, innerlich wieder wie jung werden können, dies alles führt Joyce sprachlich mit fast spielerischer Leichtigkeit vor Augen, ohne je die Gefahr zu geraten, zuviel Pathos oder zu vordergründige Emotionen in den Mittelpunkt zu stellen.

 

Harold geht einen langen Weg in einer durchaus langen Geschichte, die dennoch keine Längen aufweist, bei der jede Seite und jedes Wort seinen Platz findet. Und in der Rachel Joyce tatsächlich an die Substanz ihrer Figuren, die Substanz der Dinge, die geschehen sind und letztendlich an die Substanz des Lebens selbst geht. Wo der Tod nicht ausgespart wird, der Schmerz seinen Platz findet, die Liebe alles begleitet (oft ohne ins Bewusstsein zu dringen) und das Leben sich lösen darf auch in die eigene Nichtigkeit hinein. Bis dahin, dass man wirklich daran glauben muss (und darf) dass ein Mensch sich in diesem Leben finden kann. In all den Einrahmungen, Einbildungen, im eigenen Versagen und im Anblick  schmerzlicher Verluste, welche die eigene Schale hart machen.

 

Dieses Buch verändert nicht die Welt, aber den, der es liest. Und nach der Lektüre weiß man, dass Joyce nicht übertreibt. „Ich habe mein Herz in diese Geschichte gelegt“. Spürbar.

 

 

 

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