1639 - Flüchtlingsschicksale
Geschrieben von Carmen1639 – Während des Dreißigjährigen Krieges
Auf den sandigen Wegen der Dresdner Heide ziehen Bauern der Radeberger Amtsdörfer mit ihrem Vieh. Sie sind auf der Flucht in Richtung Dresden, da der Feind wieder einmal in ihre Dörfer eingefallen ist. Männer, nur mit Knüppeln bewaffnet, begleiten den traurigen Zug, der von Wehklagen erfüllt ist. Kinder schreien nach Brot, Frauen und Mägde klagen um ihre Männer, die im Dorfe zurückgeblieben sind. Unterwegs kommen noch andere kleine Trupps hinzu. Schließlich ist der Zug auf 14 Männer, 23 Frauen und Mägde und 80 Kinder angewachsen. Die Mehrzahl stammt sonderlich von dem Dorf Leupersdorf (Leppersdorf) und Lozdorff.
So melden sie sich schließlich an einem Donnerstag im August 1639 auf dem Vorwerk zu Ostra bei Dresden und schildern dem Verwalter ihre große ausgestandene Not mit Seufzern, Weinen und Wehklagen. Den Flüchtlingen wird ein Platz im Freien angewiesen, wo sie sich in den Gehölzen aufhalten können.
Da das Getreide des Vorwerkes hoch in der Ernte steht, fordert der Verwalter sie auf, die nun fälligen Frondienste bei der Ernteeinbringung abzuleisten. Ihre Antwort lautet, dass sie wohl gern arbeiten wollen, könnten doch wegen der großen Hungersnot, auch mangels an Sicheln und Rechen, nichts schaffen noch verrichten. Die Ältesten der Bauern kommen zurück zu den anderen. „Bringt ihr Brot?“ – „Nein, aber arbeiten sollen wir!“ – „Brot haben wir nicht erhalten“, murrten die Frauen und Männer, „aber arbeiten sollen wir.“ Da sie schon seit drei Tagen nicht einen Bissen Brot genossen hatten, begibt sich die Mehrzahl der Flüchtlinge in die umliegenden Dörfer, um für sich und die Kinder auf dem Lande ein Stück Brot zu betteln. So geht die Woche zu Ende.
Die in den Heimatdörfern Zurückgebliebenen sind noch immer nicht nach Ostra nachgekommen. Die Frauen bangen um ihre Männer, und so beschließen die Ältesten, dem Drängen der Frauen nachzugeben und am Montag den Heimmarsch anzutreten.
Der Verwalter von Ostra rauft sich die Haare. „Alles Getreide ist überständig, und ich habe keine Leute für die Erntearbeit!“, berichtet er dem kurfürstlichen Rentmeister. Auf Anregen des Verwalters werden vom Rentmeister Order an die Schösser (Anm.d.Red.: frühere Bezeichnung für Steuereintreiber) zu Radeberg und Moritzburg ausgeschrieben.
Die berittenen Kuriere jagen los. Der eine prescht durch die Heide nach Radeberg. Die Hospitalbrücke, die am Galgenberge über die Röder führt, ist von Bewaffneten besetzt Die Radeberger sind auf der Hut, denn die Zeiten sind unruhig. Auch das Stadttor ist verschlossen. „Kurier vom Ostraer Vorwerk! Aufmachen!“ Er reitet die Dresdner Gasse hoch zum Markt und von da die Schlossgasse hinunter. Auch das Schlosstor ist verschlossen. Erst nach vielen Fragen nach dem Woher und Wohin wird ihm geöffnet. Dann übergibt er sein Schreiben dem Amtsschösser Melchior Richter. Dieser runzelt die Stirn, als er den Befehl liest. Er lässt die Pferde satteln. „Der Landsknecht soll mich begleiten!“
Zu Dritt geht es nach dem Vorwerk Ostra. Der Moritzburger Schösser sei auch schon eingetroffen, sagt man ihm. Sie erscheinen vor dem Rentmeister, der ihnen im Beisein des Verwalters folgende Anweisung gibt: „Zur Verhütung Schadens an Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht Getreide seien Sie umsäumlich dahin bedacht, dass ein jeder wenigstens 50 Gulden aufbringt, damit man schleunigst, weil es sogar keinen Verzug leiden könne, Lohnarbeiter, um zur Ernte einen starken Anfang zu machen, anzunehmen. Daneben wollen Sie ihre untergebenen Untertanen, soviel derer zu erlangen sind, umsäumlich aufs Vorwerk Ostra zur Verrichtung der schuldigen Dienste abschicken und ernstlich abhalten.“ Die Schösser verneigen sich schweigend und verlassen mit kurzem Gruß das Zimmer. Es wird schwer halten, die Befehle auszuführen.
Die Bauern der Radeberger Amtsdörfer erscheinen nicht auf dem Vorwerk zu Ostra. Nur einige Fröner von Coswig und Köthiz kommen. Der Verwalter schnaubt: „Der Schreiber soll her! Bericht an den Kurfürsten in Dresden!“ – „… sind meiner untertänigsten Dienste und getreuen Fleißes jederzeit zu versichern…“ Nach der Darstellung der Ereignisse schreibt er: „Also stelle zu Ew. Kf. Durchl. gnedigsten Gefallen, obdieselbes an die beiden Schösser zu Radeberg und Moritzburg die Fronleute, nebst einen Vorlagk zur Bezahlung der Lohnarbeiter, welches Geld sie künftig von ihren Atmsuntertanen wieder einfordern, schneunigst anhero zu schaffen, oder, was dieselben zur Erbringung des Getreides, welche ohne sonderbohren vielfählichen Schaden nicht länger im Felde stehen kann, gnädigst anordnen lassen zu wollen, welches ich Ew. Kurf. Durchlaucht gehorsamst zu erkennen geben sollen, und ich bin dero zu dienen pflichtschuldigst und jederzeit bereitwillig.“ – Datum: Ostra, den 14. August 1639
Ew. Kf. Durchl. Untertänigster und gehorsamster Diener Hanns Kloß (Kf. sä. H.St. Archiv. Das Vorwerk Ostra 1637-65 Loc. 7377 fol. 218-219.) Auf dem Vorwerk Ostra konnten die vor den Kriegswirren geflüchteten Bauern kein Stück Brot erhalten. Das mussten sie sich in den Dörfern erbetteln. Dagegen wurden von ihnen Frondienste verlangt. So gibt ein Brief aus dem Dreißigjährigen Krieg Kunde von der Not der Bauern. Der Feind hauste im Lande. Was er übrig ließ, nahm der Feudalherr den Bauern ab.
Veröffentlicht in der Broschüre zum Schul- und Heimatfest 1958
Verfasser: Rudolf Limpach
aus den Aufzeichnungen der Leppersdorferin Frau Reingard Erler (1926 - 2009)